An einem Nebenarm des Maraca-Flusses, versteckt im Dickicht des brasilianischen Urwalds, hatte ein einheimischer Jäger die Grabhöhlen entdeckt und die Archäologin Vera Guapindaia vom Museu Goeldi in Belém alarmiert. Als diese mit ihrer Taschenlampe die dunkle Felsöffnung ausleuchtete, erblickte sie Ungewöhnliches: 20 Urnen aus gebranntem Ton, fast alle in Menschenform, lagen auf dem Höhlenboden; nur wenige davon waren zerbrochen. Ihre röhrenförmigen, knapp 80 Zentimeter großen Körper waren deutlich als Männer, Frauen und Kinder zu unterscheiden. Keine Urne glich der anderen - nur eines hatten sie gemeinsam: Alle Figuren saßen ursprünglich auf einer kleinen Bank und stützten ihre Hände auf die Knie.
Der Fund gilt unter Amazonas-Archäologen als Sensation, denn in den vergangenen 100 Jahren hatten sie erst eine Hand voll dieser ungewöhnlichen Körper-Urnen ausfindig gemacht.
Schon im 19. Jahrhundert ordneten die Forscher sie dem Stamm der Maraca zu, der auch dem Fluss seinen Namen gab. Über Herkunft, Leben und Kultur des Stammes ist allerdings kaum etwas bekannt. Edith Pereira, Expertin für Amazoniens Frühgeschichte, meint, dass seine Angehörigen im 17. Jahrhundert allesamt an Krankheiten starben, die europäische Siedler eingeschleppt hatten.
Im Gegensatz zu den meisten anderen der am Amazonas heimischen Völker hatten die Maraca ihre Urnen offen aufbewahrt, um so eine enge Beziehung zwischen Lebenden und Toten zu erhalten. Besonders erstaunlich sei, so die Wissenschaftler, die Platzierung der Körper-Urnen auf einer Bank. Denn die Sitzhaltung sei ein Privileg von Häuptlingen, Schamanen und hohen Gästen gewesen, sagt die Ethnologin Manuela Carneiro da Cunha. Ihr verstorbener Kollege Gerardo Reichel-Dolmatoff glaubte, dass Bänke für die Amazonas-Indianer magische Eigenschaften besaßen. Indianer ohne gesundes Urteilsvermögen seien deshalb als "Leute ohne Bank" bezeichnet worden.
Vor diesem Hintergrund verraten die Urnen einiges über das Geschlechterverhältnis bei den Maraca: Weil sowohl männliche als auch weibliche sitzende Figuren gefunden wurden, wird vermutet, dass Indio-Frauen innerhalb des Stammes hohe Positionen einnahmen. Erzählungen von Europäern, die im 16. Jahrhundert in den brasilianischen Urwald vorgestoßen waren, stützen diese These: Verwundert hatten sie festgestellt, dass die Indianer-Frauen wie Männer sprachen, sich wie Männer kleideten und vor allem als Krieger kämpften - weshalb die Spanier sie in Anlehnung an Homers Epos "Amazonen" tauften.