Nur vier Monate braucht es, um aus einer ehemaligen Kolonie eine Weltmacht zu formen. Am 1. Mai 1898 fällt der erste Schuss des Spanisch-Amerikanischen Krieges, und am 12. August des gleichen Jahres hat die USA die alte Kolonialmacht auf Kuba und den Philippinen geschlagen. Einen "splendid little war" nennt der spätere US-Außenminister John Hay den Konflikt, einen "prächtigen kleinen Krieg". Denn der erste Waffengang, den die USA in Übersee unternehmen, lässt den amerikanischen Herrschaftsbereich entscheidend wachsen - erstmals in der Geschichte um größere Gebiete jenseits des Kontinents.
Der Friedensvertrag, von den beiden Kontrahenten im Dezember desselben Jahres in Paris unterzeichnet, spricht den USA die zuvor spanisch beherrschten Philippinen zu sowie die ebenfalls spanischen Inseln Puerto Rico und Guam. Auch das eroberte Kuba bleibt de facto unter Oberhoheit Washingtons (selbst wenn offiziell die Unabhängigkeit des Eilands festgeschrieben wird). Die Vereinigten Staaten von Amerika, einst gegründet im leidenschaftlichen antikolonialen Kampf gegen die Briten, sind nun, da das 20. Jahrhundert heraufdämmert, selber eine imperiale Großmacht. Ein neuer Protagonist auf der politischen Weltbühne, der im Verlauf der folgenden zwei Jahrzehnte seinen Weg ins Zentrum des internationalen Geschehens gehen wird. Ein stolzer Gang. Doch scheint die neue Größe bei den Amerikanern zuweilen ein eigentümliches Unbehagen hervorzurufen.
Geplant war auch der folgenreiche Krieg gegen Spanien nicht. Auf Kuba hatten sich Rebellen im Kampf für die Unabhängigkeit gegen die iberischen Kolonialherren erhoben, die mit aller Härte gegen die Aufständischen vorgingen. Zu der Empörung der amerikanischen Öffentlichkeit über spanische Grausamkeiten kam die Sorge von US-Unternehmern, die Millionen vor allem in die kubanische Zuckerindustrie investiert hatten. Sowie das Missfallen der US-Regierung über einen Krisenherd nur 150 Kilometer von Floridas Küste entfernt. Als dann im Februar 1898 das amerikanische Schlachtschiff "Maine" im Hafen von Havanna nach einer Explosion sank - die Amerikaner gingen (offenbar zu Unrecht, wie sich später herausstellte) davon aus, dass Madrid hinter diesem Zwischenfall steckte -, eskalierte die Lage, und die USA erklärten kurzerhand den Krieg.
Und doch passt dieser spontane Schritt, der hastige Satz auf die Weltbühne, zur allgemeinen historischen Entwicklung jener Epoche, birgt er eine langfristige Logik. Denn die USA sind Ende des 19. Jahrhunderts zu einem schlafenden Giganten geworden. Seit Ausgang des Bürgerkriegs 1865 hat sich die Bevölkerungszahl - vor allem durch Einwanderer - auf bald 76 Millionen Menschen mehr als verdoppelt. In etwa der gleichen Zeit ist die Wirtschaftskraft, unter anderem dank reicher Bodenschätze und eines großen Binnenmarkts, um das Dreifache heraufgeschnellt, die Produktion im jungen industriellen Sektor sogar um das Fünffache. Eine unglaubliche Dynamik, die in ihrer Wucht noch zunimmt.
Die rein physische Größe des Landes ist ja ohnehin bereits gewaltig. Etwa 2600 Kilometer erstreckt es sich in seiner größten Ausdehnung von Nord nach Süd, rund 4500 Kilometer von Ost nach West. Und bis dahin haben die Amerikaner ihre Energie vor allem darauf gerichtet, dieses riesige Staatsgebiet tatsächlich in ihren Besitz zu bringen und es - häufig brutal gegen die einheimischen Indianer - zu kolonisieren.
1890 aber erklärt die nationale Volkszählungsbehörde diese innere Expansion für abgeschlossen, alle Teile des Landes gelten als von US-Bürgern besiedelt. Und so werden nun die Stimmen derjenigen lauter, die eine neue Art von Expansion fordern, eine Ausbreitung, die der Größe und Kraft des Landes angemessen sei - ein Ausgreifen in die Welt. Die Forderungen der meist jüngeren Imperialisten: eine aggressivere Außenpolitik, mehr internationaler Einfluss, militärische Stärke, eigene Kolonien. Nur so lasse sich das wirtschaftliche Wachstum sichern, nur so könnten die USA im Konkurrenzkampf mit den noch immer überlegenen europäischen Mächten um Märkte und Prestige bestehen. Außerdem sei es, so glauben nicht wenige, Aufgabe der Amerikaner, anderen Völkern die Segnungen ihrer Zivilisation, ihrer christlichen Religion, ihrer demokratischen Prinzipien angedeihen zu lassen. Im Jahr 1890 bereits gibt die Regierung den Bau von drei Schlachtschiffen in Auftrag; mit deren Indienststellung nehmen die USA nicht mehr den 13., sondern den siebten Rang der internationalen Seemächte ein. Die Kriegsschiffe kommen schon kurz darauf gegen Spanien zum Einsatz.
Ein Mann, der das neue, nach außen gewendete Selbstbewusstsein der USA verkörpert wie kein anderer, ist Theodore Roosevelt, der 1901 - drei Jahre nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg - Präsident wird. Roosevelt, mit nur 42 Jahren der jüngste USStaatschef aller Zeiten, entstammt einer distinguierten Ostküstenfamilie, hat sich allerdings unter anderem auf einer Ranch im Westen des Landes den Habitus eines Raubeins angeeignet und im Krieg gegen Spanien voller Patriotismus als Oberst einer Freiwilligeneinheit gekämpft.
Markig sind Roosevelts Reden, wieder und wieder beschwört er die Geltung des globalen Debütanten USA und einen neuen Expansionismus. Eines seiner Lieblingsprojekte ist der Panamakanal, dessen Bau er seit Beginn seiner Präsidentschaft entschlossen vorantreibt. Die 82 Kilometer lange Wasserstraße in dem mittelamerikanischen Marionettenstaat ermöglicht es bald, US-Kriegsschiffe innerhalb weniger Tage zwischen Atlantik und Pazifik zu verlegen. Strategisch können die USA auf diese Weise alle Nachbarstaaten noch besser kontrollieren.
1904 verschärft Roosevelt jene Doktrin, mit der Präsident James Monroe bereits 1823 den amerikanischen Doppelkontinent von Kanada bis Argentinien zur Interessensphäre der USA erklärt hat, und proklamiert für Washington die Rolle einer "internationalen Polizeimacht" in der gesamten Region - ein Signal, das vor allem die europäischen Großmächte abschrecken soll, hier zu intervenieren. Aber ohnehin ist nicht mehr zu bestreiten: Der erwachte Gigant USA ist nun die Hegemonialmacht über Nord-, Mittel- und Südamerika.
Im Inneren des Landes sorgen Größe und Wachstum unterdessen für tiefe Verwerfungen. Mit höherem Tempo als irgendwo sonst auf der Welt schreitet die Industrialisierung weiter voran, bringt immer mehr Menschen technische Errungenschaften wie das Automobil, das Telefon und elektrisches Licht. Doch vor allem führt sie zu einer noch nie da gewesenen Zusammenballung ökonomischer Macht.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jagen Industriemagnaten wie der Stahlproduzent Andrew Carnegie, der Ölunternehmer John D. Rockefeller und der Eisenbahnlinienbesitzer Cornelius Vanderbilt rücksichtslos nach Monopolen. Diese "Räuberbarone" nutzen den amerikanischen Laissez-faire-Kapitalismus konsequent zur Mehrung von Macht und Profit, gründen immer größere Konzerne in Form von trusts und holdings die mitunter ganze Industriezweige übernehmen.
Anfang des 20. Jahrhunderts kontrollieren Rockefellers Standard Oil Company sowie 300 weitere Konglomerate einen Großteil der US-Wirtschaft und sind bald für (dem Wert nach) mehr als 80 Prozent aller produzierten Güter verantwortlich. Die monopolistische Macht der Konzerne ist vielfach das Elend der Arbeiter. Fast die Hälfte von ihnen lebt in Armut, die Bedingungen in den Fabriken sind skandalös, Versicherungen gegen Krankheit und Unfälle gibt es nicht, Kinderarbeit ist verbreitet.
Besonders schlimm ist die Lage in den Städten, die immer mehr Menschen auf der Suche nach Jobs anziehen und die so rasant wachsen, dass um 1918 erstmals weniger US-Bürger auf dem Land leben als in der Stadt - mit dramatischen Folgen: In den dreckigen, vernachlässigten Elendsvierteln der Metropolen drängen sich Millionen.
Trotz der Not aber regt sich keine nennenswerte Protestbewegung, gibt es keine sozialistische oder sozialdemokratische Partei, die bei Wahlen größeren Einfluss gewinnen kann. Stattdessen finden sich überall im Land Angehörige der Mittel- und Oberschicht zusammen, die dem ungezügelten Kapitalismus nicht durch Revolution - die sie fürchten -, sondern durch Reformen ein humaneres Gepräge geben, die Lebensbedingungen der Massen verbessern wollen.
Viele dieser progressives werden voller Optimismus selbst aktiv, gründen Organisationen, die etwa Immigranten in den Slums helfen. Andere setzen sich dafür ein, dass Frauen endlich das Wahlrecht erhalten und dass die rassistische Benachteiligung von Afroamerikanern abnimmt - denn im Süden des Landes leben Schwarze auch nach der Sklavenbefreiung noch immer als Bürger zweiter Klasse, werden von weißen Mobs brutal gelyncht.
In erster Linie fordern die Aktivisten eine Stärkung des traditionell schwachen Staates. Verlangen, dass die Regierung die Privatwirtschaft bändigt, für mehr Gerechtigkeit sorgt, unmoralische Auswüchse lindert. Auch Präsident Roosevelt und sein späterer Nachfolger Woodrow Wilson unterstützen diese Bewegung.
Zwar sind die Erfolge der Progressives häufig begrenzt, doch werden immerhin einige Richtlinien verabschiedet, die die Macht der Konzerne einschränken: Nachdem 1890 ein frühes Gesetz gegen die Trusts kaum Wirkung gezeigt hatte, bessern die Parlamentarier nun entschiedener nach, richten etwa 1914 eine Wettbewerbsaufsicht ein, die den Missbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern soll. Ein neu gegründetes Zentralbanksystem reguliert den Finanzmarkt, zudem wird ab 1913 eine direkte nationale Einkommenssteuer erhoben. Vor allem aber verändert das "Progressive Movement" das Bewusstsein vieler Amerikaner, die Eingriffe des Staates bis dahin eher als Zumutung und Steuern oft als Instrument kalter Enteignung wahrgenommen haben. Von nun an gilt die Einmischung der Obrigkeit in gesellschaftliche Belange als gerechtfertigt, zumindest unter gewissen Bedingungen. Und dann erhält der Staat eine Aufgabe, die alle bisherigen Anstrengungen übertrifft: Es gilt, einen erneuten Waffengang zu bestreiten.
Anfangs wollen die USA dem 1914 jenseits des Atlantiks entbrannten großen Krieg noch fernbleiben. Der Konflikt gilt ihnen als ein rein europäischer. Doch die Sympathien in Washington liegen, trotz offizieller Neutralität, bei den alliierten Westmächten, die in den USA in großem Stil Lebensmittel, Munition und Waffen kaufen. Als 1917 deutsche U-Boote die Vereinigten Staaten zu bedrohen scheinen und zudem ein diplomatisches Telegramm publik wird, in dem das deutsche Kaiserreich Mexiko Bündnispläne gegen die USA vorschlägt, tritt Washington aufseiten der Alliierten in den Krieg ein.
Nun entfesseln die Vereinigten Staaten ihre gesamte Kraft und mobilisieren die großen menschlichen wie materiellen Ressourcen ihres Landes. Die Armee wird mithilfe einer neuen Wehrpflicht binnen Kurzem von 200.000 auf drei Millionen Mann verstärkt, die zum großen Teil in Frankreich kämpfen. Eine neue Bürokratie organisiert die Kriegswirtschaft. Es ist vermutlich dieser Einsatz der Amerikaner, der den Weltenbrand schließlich zugunsten der Alliierten entscheidet. Und er macht das Land endgültig zur international dominierenden Industrienation. Denn wegen der umfangreichen Materiallieferungen und vergebenen Kredite im Krieg sind die USA zum größten Gläubiger der Erde geworden und erleben zudem einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung. Längst entsteht mehr als ein Drittel der weltweiten industriellen Produktion in den Vereinigten Staaten - so viel wie in keiner anderen Volkswirtschaft.
Die europäischen Mächte dagegen, ungleich stärker von den verheerenden Folgen des Ersten Weltkriegs betroffen, von den Millionen Toten, den verwüsteten Landschaften, liegen danieder. Und sind jetzt als Schuldner abhängig von Washington. Ein globaler Wachwechsel zeichnet sich ab: Das Zeitalter der europäischen Dominanz ist vorüber. Selbst für die erdumspannende Kolonialmacht Großbritannien beginnt der langsame Abstieg. Auch militärisch und diplomatisch haben die USA nun weltweites Gewicht - als eine Großmacht neuer Art. Denn der neue Präsident Woodrow Wilson hat den amerikanischen Waffengang im Weltkrieg bewusst einen "Kreuzzug für die Demokratie" genannt, einen "Krieg für das Ende aller Kriege".
Diese moralisch-idealistische Dimension der US-Außenpolitik unterscheidet sich deutlich von der Machtpragmatik der alten Mächte – und offenbart sich auch 1919 bei den Friedensverhandlungen in Versailles: Die dort beschlossene Gründung des Völkerbundes, der fortan als Forum internationaler Verständigung dienen soll, ist das Verdienst Wilsons.
Doch kurz darauf versagt ausgerechnet der US-Kongress seine Zustimmung zu dieser Vorläuferorganisation der Vereinten Nationen. Washington bleibt dem von seinem eigenen Präsidenten initiierten Gremium fern – vor allem deshalb, weil das Land nicht erneut in europäische oder koloniale Konflikte hineingezogen werden soll, so die Begründung der Gegner. Es ist ganz offensichtlich ein Unbehagen mit der eigenen Größe: Die USA haben die angestrebte globale Rolle erreicht, doch sie scheuen sich, sie voll auszufüllen. Aufgestiegen zur Weltmacht, sind sie nun nicht bereit, auch jene weltpolitische Verantwortung zu übernehmen, die ihrem Zugewinn an Stärke entsprechen würde. Vielmehr beschließen ihre Politiker, dass sich das Land wieder auf sich selbst konzentrieren und sich zurückziehen soll.