Dies ist der entscheidende Moment: Nie zuvor hat ein Fotograf das einige Jahre zuvor erfundene nasse Kollodium- Verfahren zur Erstellung von Glasplattennegativen im heißen Klima einer Wüste ausprobiert. Francis Frith ist 1857 der Erste. Das Problem: Je wärmer es ist, desto schneller muss er arbeiten- und im Norden Nubiens kann es selbst im Winter ziemlich heiß werden. Die unter anderem mit flüssigem Kollodium präparierte Glasplatte wird belichtet, solange sie feucht ist; und sie darf bis zur Entwicklung nicht trocknen. Es ist also überhaupt nicht sicher, ob sich die Strapazen seiner Reise an den Nil gelohnt haben. Ob er nicht möglicherweise vergebens mehrere Dunkelkammern, drei Kameras unterschiedlicher Größe sowie etliche mit Kork gepolsterte Kisten voller zerbrechlicher Glasplatten und flüchtiger Chemikalien in fest verschlossenen Fläschchen von England nach Ägypten verschifft hat und dann weitere 1600 Kilometer den Nil flussaufwärts. An dessen Ostufer hat der 34-Jährige ein Zelt aufbauen lassen, das als Dunkelkammer dient, entfaltet nun das schwere Stativ und postiert seine Kamera vor der Felsenlandschaft, die der Nil hier durchschneidet. Kurz prüft er noch den Motivausschnitt, der sich unter dem lichtdichten Tuch der Kamera auf der Mattscheibe des Fotoapparates spiegelverkehrt und auf dem Kopf stehend abzeichnet, dann zieht er sich in das dunkle Zelt zurück, um die Aufnahme vorzubereiten. Frith sieht kaum mehr als Schemen vor sich, doch er hat alle Utensilien nach einem festen Muster auf einem Tisch aufgestellt und könnte auch mit verbundenen Augen arbeiten. Das Thermometer zeigt 45 Grad Celsius unter dem Zeltdach. Als der Engländer die Kollodiumflasche entkorkt, zischt die Chemikalie wie Limonade. Kaum auf der Glasplatte verteilt, beginnt sie sogar zu brodeln. Die Lösungsmittel Ether und Ethanol verdunsten in der Hitze binnen Sekunden, nicht wie sonst in Minuten. Sofort bildet sich auf dem Bildträger ein klebriger Film aus Kollodium und darin eingemischten Jod- und Bromsalzen. Nun taucht Frith die Platte in flüssiges Silbernitrat – erst dieses Bad wandelt die Salze in der Kollodium-Schicht in lichtempfindliche Silberverbindungen um. Die nasse Glasplatte schiebt der Fotograf anschließend in den Halter der Kamera. Frith bleiben nun nur wenige Minuten, um das Zelt zu verlassen, die Felsenlandschaft am Nil zu fotografieren und wieder zurück in die Dunkelkammer zu eilen.
Doch als er das Bild danach entwickeln will, löst es sich schon nach zehn Sekunden im Chemikalienbad auf, zeigen sich winzige Löcher, verursacht durch Wüstenstaub. Die erste Aufnahme Friths am Ufer des Nil ist missraten. Nun muss er sich fragen: Kann die neue Technik unter den extremen Bedingungen Nordafrikas überhaupt funktionieren?
Dabei ist Ägypten längst kein unbekanntes Terrain mehr für europäische Reisende. Schon kurz nach der Erfindung der Fotografie haben sich 1839 Männer mit Kameras zum Nil aufgemacht. Diese frühen Aufnahmen - Daguerreotypien - sind allerdings Unikate, von denen keine Papierabzüge hergestellt werden können. Denn das Bild wird dabei direkt auf eine versilberte, hochglänzend polierte Kupferplatte belichtet, entwickelt, fixiert und unter Glas gerahmt. Um Abzüge im Durchlichtverfahren anfertigen zu können, muss der Bildträger aber durchscheinend sein. Zehn Jahre später fotografiert der Franzose Maxime Du Camp Ägyptens archäologische Stätten mit einer neuen Technik. Doch seine Kalotypien haben ebenfalls einen Makel: Die Negative bestehen aus Papier, das mit speziellen Salzlösungen getränkt und häufig zusätzlich durch ein Bad in heißem Wachs durchscheinend gemacht werden muss. Stellt der Fotograf damit Abzüge im Durchlichtverfahren her, wird die Papierstruktur des Negativs mit auf den Abzug kopiert. Die fertigen Bilder sind daher grobkörnig, feine Details sind nicht zu erkennen. Das nasse Kollodium- Verfahren hingegen, 1851 vorgestellt, zeichnet noch das kleinste Detail haarfein ab. Einer, der dieses neue Verfahren genau studiert, ist der Brite Francis Frith. Seit dem Verkauf seines Lebensmittelgroßhandels ist er wohlhabend genug, um sich auf sein Hobby zu konzentrieren, die Fotografie. Er lernt auch, mit einer gewaltigen Kamera umzugehen, deren Negativplatten 40 mal 50 Zentimeter messen.
Der wuchtige Mahagonikorpus ist einer von drei Fotoapparaten, mit denen er 1856 nach Ägypten aufbricht: Frith hat auch noch eine Normalformatkamera für Negative von 20 mal 25 Zentimeter Größe dabei sowie einen Stereoapparat, der zwei kleine Platten zugleich belichtet. Die zwei Fotos, die bei dieser Aufnahmeart parallel entstehen, unterscheiden sich nur minimal im Blickwinkel. Werden sie nebeneinandergelegt und in einem bestimmten Abstand durch ein sogenanntes Stereoskop betrachtet, erscheint das dargestellte Bild räumlich. Stereoskopische Bilder sind begehrt. Um den Verkauf seiner Aufnahmen muss sich Frith also nicht sorgen - wenn er denn das nasse Kollodium-Verfahren in der Hitze Nordafrikas meistert.
Sein Schock über die erste missglückte Aufnahme am Nil ist nicht von Dauer. Kurzerhand besprengt Frith den heißen Sand in der Dunkelkammer und um das Zelt herum mit Wasser, sodass er keinen Staub mehr aufwirbelt. Zudem legt er ein weißes, durchnässtes Tuch auf den schwarzen Stoff, wodurch die Temperatur im Inneren des Zeltes deutlich sinkt. Bereits der nächste Versuch gelingt. Fortan nutzt der Brite jeden Schatten, der sich ihm bietet. In einem Tempel entwickelt er seine Negative kurz darauf in einer finsteren Kammer, an deren Decke Fledermäuse hängen. Mehrere Felsengräber werden so zur Werkstatt, aber auch das Beiboot des großen Nilseglers, mit dem Frith den Fluss befährt. Am meisten Aufsehen erregt jedoch der Kabinenwagen, den er bei Landausflügen als Dunkelkammer, Kameratransporter und Schlafstatt nutzt. Denn die Ägypter vermuten, er befördere in dem mit weißem Segeltuch verhangenen Gefährt seinen vielköpfigen Harem. Bei seiner Bildersuche hält sich Frith an die klassischen Motive: Er porträtiert südlich von Assuan die Heiligtümer der Insel Philae, bei Luxor den liegenden Torso einer Monumentalstatue von Ramses II. und bei Gizeh den Sphinx. Und als er im dunklen Innersten eines Felsengrabes fotografieren möchte, wird ein Mann am Eingang zur Gruft postiert, der das Licht der Sonne mit einem Spiegel in die Finsternis lenkt. Im Inneren fängt ein Zweiter den Strahl mit einem weiteren Spiegel auf und leuchtet damit das Motiv aus. Dreimal bereist Frith zwischen 1856 und 1860 Ägypten sowie das Heilige Land. Das Publikum in der Heimat feiert seine rund 500 Bilder, die gemeinsam mit seinen Beschreibungen nach und nach als gebundene Alben, als einzelne Fotos zum Sammeln und als Editionen für das Stereoskop erscheinen.
1858 präsentiert er dem begeisterten Publikum in London ein gut 2,50 Meter breites Panorama von Kairo, das er aus sieben Abzügen seiner gewaltigen Mahagoni-Plattenkamera zusammengesetzt hat. Noch im selben Jahr gründet er eine fotografische Druckanstalt mit Bildarchiv, bald ist F. Frith & Co. die größte Firma dieser Art in England. Allein 152 000 Abzüge werden für Friths Publikation „Egypt and Palestine“ hergestellt. Die Menschen lieben die Fotos, mit denen sie im Lehnstuhl in ferne Länder reisen können. Reporter der "Times" schreiben über die herausragende Qualität der Abzüge, die "den Betrachter weiter tragen als alles, was ein noch so begabter Künstler auf seine Leinwand bannen könnte".
Der Fotograf selbst, mittlerweile verheiratet und Familienvater, hat bereits ein neues, nicht weniger ambitioniertes Ziel gefunden: Er will jede Stadt, jedes Dorf, jede Ruine und jede Sehenswürdigkeit in Großbritannien dokumentieren. Der aufkommende Eisenbahntourismus im viktorianischen England sorgt für Nachfrage: Viele Reisende wollen Andenken aus den besuchten Orten mit nach Hause nehmen, und F. Frith & Co. liefert die Bilder dazu. Dafür reist der Chef unentwegt und kauft, um sein Archiv zu vergrößern, Arbeiten anderer Fotografen an oder nimmt die Urheber unter Vertrag. Eine eigene künstlerische Handschrift ist dabei unerwünscht: Die Bilder müssen Friths strikten ästhetischen Anforderungen genügen und durch sorgfältige Komposition von Vorder- und Hintergrund die Atmosphäre des jeweiligen Ortes einfangen. 1876 umfasst der Motivkatalog von F. Frith & Co. gut 700 Seiten mit Bildern, darunter Aufnahmen von Städten und Landschaften in Ostasien, Nordamerika und Europa. Bald verfügt das Unternehmen über ein Netz von mehr als 2000 Verkaufsstätten in Großbritannien, beschäftigt eigene Fotografen, dehnt das Geschäft auf Glasdiapositive aus, Kalender, Weihnachts- und Geburtstagskarten. In den 1890er Jahren bietet die Firma Zehntausende Bilder allein von den Britischen Inseln an und wird zum größten Foto- und Postkartenverlag weltweit. Bis zum Ersten Weltkrieg bleibt F. Frith & Co. in Familienbesitz. Erst 1971 schließt der Betrieb für immer die Tore. Das Archiv umfasst zu diesem Zeitpunkt mehr als 250.000 Papierabzüge und 60.000 Glasplattennegative, darunter Ansichten von Sehenswürdigkeiten aus aller Herren Länder - wertvolle Dokumente jener Epoche, in der sich die Moderne anschickte, die Welt für immer zu verändern. Der Mann, der es begründet hat, ist da schon lange tot. Francis Frith stirbt am 25. Februar 1898 mit 75 Jahren in seiner Villa in Südfrankreich. Sein Leben lang hatte er vor allem während der Wintermonate an Bronchitis und Asthma gelitten - vermutlich verstärkt durch jene Chemikalien, mit denen der britische Pionier einst tagaus, tagein in stickigen Dunkelkammern hantieren musste.