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Diesen Leuten ist alles Ware, berechenbar, geldwert. 150 Jahre, bevor der schottische Nationalökonom Adam Smith die Grundregeln einer kapitalistischen Ordnung formuliert, haben die Niederländer im 17. Jahrhundert bereits eine höchst effiziente Marktwirtschaft geschaffen, deren Modernität und Dynamik benachbarte adelige Herrscher gleichzeitig fürchten und beneiden - aber niemals erreichen werden.
Denn den Fürsten von Gottes Gnaden geht es um Ruhm, Macht und Prestige. Für die Geschäftsleute im Goldenen Zeitalter der Niederlande hingegen zählt allein die Rendite. Nur wer immer produktiver wird, überlebt im Kapitalismus. Das gilt für Landwirtschaft und Handwerk, Handel und Finanzwesen, für Textilproduktion und Fischfang. Und das gilt für die Kunst, die an der Nordseeküste ein Gewerbe unter vielen ist. Die Niederlande beginnen ihren Aufstieg zur ökonomischen Großmacht als Kolonie am Rande eines Weltreichs. Durch Erbschaft und Eroberung sind die insgesamt 17 Provinzen bis 1543 in den Besitz der Habsburger gelangt. Die tief gelegenen Territorien sind dicht besiedelt und wohlhabend. Hier befinden sich die reichen Handelsstädte Gent, Antwerpen, Brügge und Brüssel. Es sind Marktplätze für englische und flämische Tuche, russische Pelze, Gewürze wie Safran, Pfeffer und Zimt aus der Mittelmeerregion oder Asien.
Und die Schiffe jagen den Kapitänen der Hanse immer größere Teile des Ostseehandels ab, vor allem mit Heringen, Getreide und Holz. Im Jahr 1555 übernimmt Philipp II. die Herrschaft über die Niederlande, im Jahr darauf über die gesamten spanischen Besitzungen des Habsburgerreiches. Seine Territorien liegen in Amerika, Afrika, im Pazifikraum und überall in Europa. Ein kaum zu beherrschendes Imperium: Ein berittener Eilbote braucht mindestens zwei Wochen von Madrid in die niederländische Kapitale Brüssel. Dieses Imperium kann Philipp nur regieren, wenn er Vertraute auf den wichwichtigsten politischen Posten der Provinzen installiert. Deshalb setzt der streng katholische König in den Niederlanden seine Halbschwester Margarete als Generalstatthalterin ein und einen Gefolgsmann als Erzbischof, der die dortige Kirche angesichts der Bedrohung durch die Reformationsbewegung neu organisieren soll. In den Augen der Niederländer sind beide Fremde, die zur Finanzierung von Philipps Kriegen Steuern auf Wein und Bier sowie den Handel erheben und Bürger zwingen, staatliche Anleihen zu kaufen. Und die auf Befehl ihres Königs die spanische Inquisition einführen wollen: zur Verfolgung der Calvinisten, die der bedeutendsten reformatorischen Strömung in den Niederlanden folgen. Die große Mehrheit der Niederländer ist zwar noch katholisch, sympathisiert aber mit den Calvinisten. Besonderen Anklang finden deren Ideen bei den aufstrebenden Mittelschichten - denn der Reformator Johannes Calvin hat in den Mittelpunkt seiner Schriften die Prädestinationslehre gestellt, nach der Gott den Menschen noch vor dessen Geburt erwählt oder verwirft. Ist ihr wirtschaftlicher Erfolg, so fragen die Unternehmer und Händler, nicht ein Zeichen dafür, dass sie zu den Erwählten gehören?
Im Sommer 1566 entlädt sich der Zorn der Niederländer auf die fremden Herren, auf die Inquisition und die katholischen Kleriker. Deren Verehrung von Heiligenbildern wird als ein unerträglicher Widerspruch gegen das Gebot der Bibel "Du sollst dir kein Bildnis machen" empfunden. Calvinistische "Heckenprediger", die außerhalb der Städte auf freiem Feld zuweilen vor Tausenden das Wort des Herrn verkündigen und den Reichtum der römischen Kirche geißeln, peitschen die Menschen zu einem Bildersturm auf. Mehr als 500 katholische Kirchen und Klöster werden innerhalb von Wochen verwüstet, Heiligenstatuen von den Sockeln gerissen, Altäre entweiht. In der Antwerpener Kathedrale zerfetzen Plünderer ein Marienbild mit Dolchen, trinken den Messwein und säubern ihre Schuhe mit Weihwasser. Auch Teile des niederländischen Adels begehren gegen den fremden König auf, der die Alteingesessenen von einträglichen Pfründen verdrängt hat. Sie fordern mehr Macht und das Ende der Protestantenverfolgung. Einer ihrer Anführer ist Wilhelm von Oranien - lutherisch getauft, katholisch erzogen, später Calvinist -, dem riesige Besitzungen in den Niederlanden gehören sowie das Fürstentum Orange in Südostfrankreich, nach dem sein Geschlecht benannt ist. Philipp II. reagiert auf die niederländischen Frechheiten mit Härte: Er schickt 10.000 Soldaten in die rebellischen Provinzen; das Kommando erhält der Herzog von Alba, bekannt als unbeugsamer Kämpfer gegen die Protestanten.
Auch das Kunstwerk wird jetzt zur Ware
Sein Auftrag: die Erhebung niederschlagen, gleichgültig mit welchen Mitteln. Und das heißt verschärfte Inquisition, Massenhinrichtungen, neue Steuern und Eigentumskonfiskationen. Militärisch sind die Spanier überlegen. Doch vor allem im Norden ist der Widerstand gegen die Fremdherrschaft groß. Zugleich fliehen Zehntausende ins Exil, auch Wilhelm von Oranien, der den Kampf von außen organisiert. Von ihm bezahlte Söldnertruppen attackieren die Fremden, unterstützt von etlichen europäischen Staaten, denen Spaniens König zu mächtig wird, darunter Frankreich, England und die reformierten deutschen Länder. Der Kampf ist rücksichtslos. 1572 ermorden Albas Soldaten die Bevölkerung eines nordholländischen Städtchens und brennen den Ort nieder. Im Jahr darauf lässt der Spanier die Garnison von Haarlem niedermetzeln, 2300 Tote. Die Rebellen wiederum durchstoßen mehrmals die Deiche und setzen so ihr eigenes Land unter Wasser, um die Besatzungsarmee aufzuhalten.
Für die spanische Krone entwickelt sich der totale Krieg zum finanziellen Desaster. Keine Seite erringt einen entscheidenden Sieg. 1575 erklärt Philipp II. den Staatsbankrott (seinen Vollstrecker Alba hat er wegen Erfolglosigkeit bereits abberufen). Da der König den Sold nicht mehr bezahlen kann, meutern seine Truppen im Jahr darauf und plündern tagelang Antwerpen. Augenzeugen berichten von Tausenden Ermordeten, ganz Europa liest entsetzt in Flugblättern über das Wüten der "spanischen Furie".
Voller Hass auf den katholischen Gegner wollen radikale Protestanten nun dessen Glauben in den gesamten Niederlanden auslöschen; allein die calvinistische Religion soll zukünftig erlaubt sein. Doch diese Radikalität zerstört die Einigkeit der Niederländer. Die südlichen Landesteile Artois und Hennegau mit überwiegend katholischer Bevölkerung schließen sich 1579 zur "Union von Arras" zusammen und beginnen sofortige Verhandlungen mit Philipp II. Einige protestantische Regionen im Norden gründen daraufhin die "Union von Utrecht", eine Militärallianz gegen Spanien, der bald weitere nordniederländische Provinzen beitreten. Auch Städte wie Brüssel, Brügge, Gent und Antwerpen schließen sich dem Bund an. Zwei Jahre später setzen Abgesandte der aufständischen Provinzen den spanischen König als Landesherrn offiziell ab. Das ist de facto der Gründungsakt der Republik der Vereinigten Niederlande - auch wenn sich die Nordprovinzen Holland, Seeland, Utrecht, Friesland, Gelderland und Overijssel erst 1588 formal zur Republik erklären (Groningen schließt sich als siebte und letzte Provinz 1594 an). Mehr als 200 Jahre lang wird dort kein Monarch mehr herrschen.
Die Rebellenrepublik ist ein Staatenbund ohne starke Zentralmacht; wichtigstes Organ sind die "Generalstaaten", die Versammlung der Vertreter der einzelnen Provinzkammern, die wiederum zumeist Abgesandte der Stadträte sind. Die Generalstaaten entscheiden über Krieg und Frieden und beaufsichtigen den Handel. Der militärische Oberbefehlshaber, der "Statthalter" (dieser Titel bleibt erhalten, obwohl sein Inhaber nicht mehr an Stelle des Königs herrscht), wird von den Provinzen ernannt und entstammt traditionell dem angesehenen Geschlecht der Oranier. Wilhelm, der erste Statthalter der Vereinigten Niederlande, wird 1584 von einem katholischen Eiferer ermordet. Noch immer aber ist der Krieg nicht beendet. 1585 besetzen spanische Einheiten die aufständischen Städte Brüssel und Antwerpen und stoßen weit auf das Gebiet der Nordprovinzen vor. Dann aber kommt eine Veränderung der internationalen politischen Lage der jungen niederländischen Republik zu Hilfe. Denn Philipp II. plant den Entscheidungsschlag gegen die protestantische Führungsmacht England, die ihren Glaubensbrüdern auf der anderen Seite des Kanals immer wieder mit Truppen hilft: Eine spanische Armada soll die englische Flotte zerschlagen und den Weg frei machen für eine Invasion der Insel. Doch das Vorhaben scheitert, die wendigen Schiffe der Engländer sowie aufkommende Orkane vernichten im Sommer 1588 die Armada. Und als Spaniens König zwei Jahre später Soldaten aus den Niederlanden abzieht, weil er sie für einen Feldzug in Frankreich braucht, ist die Republik erst einmal gerettet.
Im Jahr 1598 stirbt Philipp II., der unnachgiebige Feind der niederländischen Rebellen. Sein Sohn und Nachfolger Philipp III. ist angesichts der ruinierten Staatsfinanzen verhandlungsbereit; so wird (nach weiteren Kämpfen) 1609 ein Waffenstillstand unterzeichnet, der auf eine Dauer von zwölf Jahren angelegt ist.
Zwar beginnen nach dessen Auslaufen erneut Auseinandersetzungen. Aber die Kräfteverhältnisse haben sich inzwischen geändert. Die wirtschaftlich prosperierende Republik der Vereinigten Niederlande kann vor allem zur See nun bedeutendere Ressourcen mobilisieren als das überforderte spanische Imperium: 1628 kapern holländische Schiffe vor Kuba Madrids gesamte Silberflotte, elf Jahre später wird eine spanische Armada vor der Südostküste Englands versenkt.
Doch erst der Friede von Münster vom 30. Januar 1648 beendet den Kampf zwischen den Niederlanden und Spanien - 80 Jahre nach Ausbruch der Revolte. Spanien muss die Souveränität seiner früheren Kolonie anerkennen. Der katholische Süden allerdings, einschließlich der Stadt Antwerpen, bleibt im Besitz der Habsburger.
In diesen 80 Jahren des Ringens war es oft genug zweifelhaft, ob die nördlichen Provinzen den Kampf gegen das habsburgische Imperium durchhalten würden. "Im Vergleich mit dem König von Spanien", notierte 1617 ein Amsterdamer Stadtrat, "waren wir wie eine Maus gegenüber einem Elefanten." Dennoch überlebte die winzige Republik den Krieg - und entwickelte sich während des jahrzehntelangen Konflikts sogar zu einer ökonomischen Weltmacht. Es scheint ein unerklärliches Wunder zu sein. Doch in Wirklichkeit sind es gerade scheinbar übermächtige Schwierigkeiten wie diese, welche die Voraussetzungen für das Goldene Zeitalter der Niederlande im 17. Jahrhundert schaffen. Denn sie zwingen die Menschen zu erstaunlichen Anpassungsleistungen.
So haben die kleinen Niederlande nicht genügend fruchtbare Ackerflächen, um die (im Jahr 1600) rund 1,5 Millionen Einwohner ausreichend mit Brotgetreide zu versorgen. Eigentlich eine Notlage, doch sie führt nicht zu einer permanenten Hungersnot, sondern hat im Gegenteil gleich mehrere positive Effekte. Zum einen für die Landwirtschaft: Überall sonst in Europa schuftet die Mehrheit der Bevölkerung im Getreideanbau, der lebensnotwendig, aber wenig einträglich ist. Die Niederländer hingegen importieren große Mengen Korn, und so wenden sich viele Landwirte einer lukrativeren Tätigkeit zu, vor allem der Viehzucht oder dem Obst- und Gemüseanbau. Die Gewinne daraus können sie in weitere Geschäfte stecken - wahrscheilich ein Grund dafür, dass es stets genügend Investitionskapital gibt. Darüber hinaus benötigen die nun zumeist spezialisierten Agrarbetriebe weit weniger Arbeitskräfte; die Landarbeiter müssen sich daher in anderen Gewerben verdingen. Getreide, das zumeist aus dem Baltikum kommt, wo es reichlich und günstig einzukaufen ist, lässt sich über große Entfernungen nur per Schiff transportieren. Die gewaltige Menge des importierten Weizens erfordert viele Frachter. Schon 1530 hat allein die Nordprovinz Holland rund 400 hochseetaugliche Schiffe, mehr als die Flotten Englands und Frankreichs zusammen. Das ist ein weiterer Nutzeffekt der ursprünglich prekären niederländischen Ernährungslage: Wenn viele Schiffe benötigt werden, um die Lebensmittelversorgung der Menschen zu sichern, lohnt es sich, deren Bau zu standardisieren. Bei Amsterdam entsteht eine Schiffbauindustrie, größer und leistungsfähiger als irgendwo anders in Europa. 400 Segler laufen in der Republik jedes Jahr vom Stapel. Ebenso führend sind die Niederländer in der Textil- und Keramikproduktion, als Waffenschmiede, in der Backsteinbrennerei, die um 1600 gut 200 Millionen Ziegel pro Jahr anfertigt, in der Heringsfischerei. Und immer sind es überlegene Technologien sowie ein ausreichendes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften und Investitionskapital, die eine solche Spitzenstellung ermöglichen.
Am einträglichsten Handelszweig indessen, dem Verkauf von Luxusgütern wie Gewürzen, Pelzen und Seidentüchern, Tee, Kaffee und Zucker, sind die Kaufleute der Nordprovinzen noch Ende des 16. Jahrhunderts kaum beteiligt. Hier dominiert Antwerpen, allein die flämischen Händler haben die notwendigen internationalen Kontakte. Doch das ändert sich, als Antwerpen im August 1585 vor den spanischen Belagerern kapitulieren muss. Anders als neun Jahre zuvor gibt es keine Plünderungen, keinen Massenmord - nur einen Befehl: Alle Protestanten müssen zum katholischen Glauben übertreten. Wer sich weigert, hat die Stadt zu verlassen. Rund die Hälfte der 80.000 Einwohner Antwerpens geht in den folgenden vier Jahren ins Exil in den Norden. Dieser Verlust trifft den Süden der Niederlande schwer; Antwerpen büßt die Rolle einer Weltkapitale des Kommerzes ein. Und wird abgelöst von Amsterdam, das schon bald 100.000 Bewohner zählt. Unter den Zuzüglern in den Norden sind Tausende Weber und Färber, aber auch Großkaufleute, die ihre internationalen Handelsverbindungen neu beleben. Männer wie Balthazar de Moucheron, der jedes Jahr 15 bis 20 Schiffe ausrüstet. Oder wie Isaac Le Maire, der zu den Gründungsdirektoren der "Vereenigden Oostindischen Compagnie" gehört: eines Unternehmens, wie es die Welt noch nicht gesehen hat - und des vielleicht mächtigsten Konzerns der Geschichte. 1602 schließen sich vier Gesellschaften, die Handel mit Indien und Südostasien treiben, zu dieser Ostindien-Kompanie zusammen. Zusätzlich gibt die neue Firma Aktien aus. Tausende Niederländer zeichnen die Anteilsscheine der VOC, insgesamt sammelt sich ein Gründungskapital von 6,4 Millionen Gulden an. Eine ungeheure Summe, denn schon ein Vermögen von 10.000 Gulden macht einen Amsterdamer Bürger zu einem wohlhabenden Mann. Die Geldanlage lohnt sich: In manchen Jahren zahlt die Gesellschaft eine Dividende von 60 Prozent. Die Generalstaaten übertragen der Kompanie das Monopol für den niederländischen Asienhandel sowie das Recht, Festungen zu bauen, Armeen aufzustellen und Verträge mit ausländischen Herrschern abzuschließen. Für die Leitung der Niederlassungen in Asien setzen die 17 Direktoren des Unternehmens stets einen Generalgouverneur ein, darunter einen Mann wie Jan Pieterszoon Coen. Der streng calvinistische Friese kann seinen Glauben ohne Probleme mit skrupelloser Geschäftstüchtigkeit vereinbaren - und erschafft innerhalb weniger Jahre ein Handelsimperium.
1619 lässt Coen eine Stadt auf Java niederbrennen und an der gleichen Stelle den Ort Batavia errichten, das Zentrum der VOC in Asien. Anschließend erobert Coen eine Gewürzinsel nach der anderen im indonesischen Archipel. Einheimischer Widerstand wird grausam bekämpft: Auf den Banda-Inseln sterben bei einer Strafexpedition mehr als 90 Prozent der Bewohner. Anderswo werden die Menschen verschleppt oder verkauft - auch wenn der Sklavenhandel nur ein Nebenerwerb der VOC bleibt; dagegen steigt die 1621 nach ihrem Vorbild gegründete "Westindische Kompanie" zum weltgrößten Menschenhändler auf.
Erstmals entstehen Bilder für die Masse
Wo der Wert von allem in Geldeinheiten gemessen wird und alles käuflich ist, wird auch das Kunstwerk zur Ware, wird der Künstler zum Verkäufer auf einem Markt. Und wie im Handel und der Produktion, so bringt die kapitalistische Konkurrenz im 17. Jahrhundert in den Niederlanden auch in der Malerei eine einzigartige Produktivität hervor. Die Kunstblüte im Norden beginnt mit dem Fall Antwerpens 1585. Denn auch zahlreiche Maler sind unter den insgesamt etwa 150.000 Menschen, die vor den dauernden Kämpfen in den südlichen Landesteilen sowie vor der Rekatholisierungspolitik der Spanier in die unbesetzten Provinzen fliehen. Die Städte des Nordens haben keine nennenswerte eigene Kunsttradition und sind so der ideale Nährboden für die Innovationen, welche die flämischen Meister mitbringen: die Landschaftsmalerei, das Stillleben sowie die neue Dynamik der Darstellung, die sich die Künstler von den Werken der italienischen Manieristen abgeschaut haben.
Doch in den Städten des Nordens fehlen die traditionell wichtigsten Auftraggeber für Kunstwerke: die Kirchen - denn die Calvinisten dulden keine Bilder in den Gotteshäusern. Ebenso wenig existieren in der Republik große Fürstenhöfe. Dafür aber gibt es dort immer mehr Bürger, die sich Gemälde leisten können; ein englischer Reisender berichtet überrascht von Metzgern, Bäckern, Schmieden und Schustern als Käufern. Und so beginnen zum ersten Mal in der abendländischen Kunstgeschichte die Maler für die Massen zu arbeiten. Es ist eine kommerzielle Revolution - und die erfordert eine große Anpassungsleistung der Produzenten: durch Diversifikation, Serienfertigung, Spezialisierung. Zum einen haben die Künstler den Geschmack ihrer neuen Kunden zu treffen, der ganz anders ist als der von Hochadel und Klerus. Die Bürger wollen keine großformatigen, aufwendigen und damit teuren Wiedergaben der antiken Sagenwelt, sondern schmücken die Wände ihrer Häuser mit Motiven, die sie kennen und die ihnen inhaltlich und ästhetisch gefallen: heimische Landschaften, Stadtansichten, Seestücke sowie sogenannte Genrebilder, die alltägliches Leben zeigen. Der Preis von Gemälden richtet sich vor allem nach der dafür aufgewendeten Arbeit. So kostet um 1640 ein schnell gemaltes Porträt sechs Gulden, ein lebensgroßes Brustbild etwa 40 Gulden; zeigt es den ganzen Menschen, sind 100 bis 150 Gulden zu zahlen, abhängig von der Menge an Beiwerk (ein prominenter Künstler wie Rembrandt verlangt mitunter das Fünffache). Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Lohnempfänger verdient weniger als 300 Gulden im Jahr. Etlichen Künstlern geht es nun vor allem darum, möglichst viele Bilder herzustellen und zu veräußern. Denn die Käufer sind in der Regel zwar wohlhabende Bürger und besser gestellt als die meisten Menschen im Rest Europas - aber nicht in der Lage, so viel Geld für ein einzelnes Kunstwerk auszugeben wie früher ein Fürst oder Bischof. Das bedeutet für viele Maler: Effizienzsteigerung durch kleinere Formate, Weglassen von Details, skizzenhafte Darstellung, Kopieren beliebter Motive.
Erfolgreiche Künstler wie der Delfter Michiel van Miereveld stellen zahlreiche Gehilfen ein, die auf Vorrat Porträts der Oranier malen. Der Meister setzt nur noch seine Signatur darunter - und wird mit seiner Kunstfabrik zum reichen Mann: Als er 1641 stirbt, hinterlässt er zwei Häuser, Ländereien und verzinste Papiere im Wert von 14.500 Gulden.
Andere Maler spezialisieren sich: Jan van Goyen etwa, der sein Atelier erst in Leiden hat, dann in Den Haag, erschafft größtenteils kleinformatige Landschaften in charakteristischen Gelb- und Brauntönen; rund 1200 Gemälde vollendet er so insgesamt. Schon bald gibt es Maler, die ausschließlich Seeschlachten fertigen, sowie Spezialisten für Porträts, Kirchen, Winterlandschaften, für Frucht-, Blumen-, Fisch-, Frühstücks- und Jagdstillleben. Es sind Meister, die ihre Genres innovativ weiterentwickeln. Manche verlegen sich auch darauf, nur noch bestimmte Elemente wie etwa Tiere oder den Faltenwurf von Vorhängen zu malen - und fügen sie auf Bestellung in die Bilder anderer Künstler hinein. Zu erwerben sind die Werke direkt beim Maler, in Ausstellungen der Lukasgilden, in denen die Künstler organisiert sind, auf Auktionen sowie bei Kunsthändlern. Das sind anfangs häufig nichts anderes als Trödler, die Nachlässe aufkaufen, oder Kneipenwirte und Handwerker, bei denen der Maler seine Schulden mit Bildern bezahlt hat. Doch in den 1630er Jahren entsteht ein professioneller Kunsthandel mit Ladengeschäften, der schon bald auch ausländische Werke im Angebot hat.
Ihren Höhepunkt erreicht die niederländische Kunstproduktion um 1650: Etwa 700 Maler fertigen nun fast 70 000 Gemälde pro Jahr an. Ungefähr zur gleichen Zeit gelangt auch die ökonomische Entwicklung an ihren Zenit - und überschreitet ihn. Das Bevölkerungswachstum endet, knapp zwei Millionen Einwohner zählen die sieben Provinzen des Nordens jetzt. Eine Phase der Stagnation beginnt in bedeutenden Wirtschaftszweigen, etwa der Heringsfischerei und dem Tuchgewerbe, weil ausländische Konkurrenten technisch aufgeholt oder billigere Arbeitskräfte haben. Zudem erwächst den Vereinigten Niederlanden nun ein zunehmend gefährlicher Konkurrent um die Vormacht zur See: England, wo 1649 die Ära der Revolutionskriege mit der Hinrichtung des Königs zu Ende gegangen ist. Und im Süden beginnt der junge König von Frankreich seine Herrschaft zu festigen; bald wird Ludwig XIV. der Todfeind der Niederländer sein, bedrohlicher als einst Philipp II. von Spanien. Noch ist das Goldene Zeitalter der Niederlande aber nicht vorüber: weder in der Kunst - die Jan Vermeer zu einer einzigartigen Spätblüte führen wird -, noch im Handel, wo die Ostindien-Kompanie gerade erst den höchst lukrativen Handel mit Japan aufgenommen hat.
Doch schon jetzt, Mitte des 17. Jahrhunderts, sind die ersten Anzeichen dafür zu erkennen, dass eine so winzige Weltmacht nur für eine kurze Zeit existieren kann. Selbst wenn sie so effizient organisiert ist wie das erste kapitalistische Musterland: die Republik der Vereinigten Niederlande, Objekt für den "Neid einiger", wie ein englischer Diplomat schreibt, "die Furcht anderer und die Bewunderung aller ihrer Nachbarn".