Ontario, das Land der tausend Seen. Wenn sich der kurze Sommer dem Ende neigt, reift hier der kanadische Wildreis heran. Er ist der grüne Schatz des Indianerstammes der Ojibwa. Jedes Jahr errichten sie im Süden Kanadas ihre Camps, um den Manomin, den Samen des "Seegrases", zu ernten. Seit über 2000 Jahren sichert er ihr Überleben.
Das Kanu von Joe Pitchenese gleitet fast lautlos durch ein Meer von grünen Reispflanzen, die im flachen Wasser des Wabigoon Sees wachsen. Der Häuptlingssohn der Ojibwa hat sich zusammen mit Angehörigen seines Stammes zur Reisernte aufgemacht. Nur das Schaben der Halme an der Bootswand durchdringt die Stille des nebligen Morgens. Joes Frau sitzt mit zwei meterlangen Stöcken hinter ihm und erntet: Sie schiebt mit dem rechten Stock eine große Portion der Halme über den Bootsrand, mit dem linken schlägt sie rhythmisch auf die Büschel ein. Dabei prasseln die reifen Körner ins Boot. Nur jedes fünfte Reiskorn fällt ins Boot, die restlichen sichern die Saat für die folgenden sieben Generationen - so will es die Tradition.
In den 1970ern war kaum mehr ein Ojibwa bereit, solch eine mühevolle Tradition fortzuführen. Auch Joe weiß aus Erfahrung, wie schwer es ist, seinen Stamm für diese harte, schweißtreibende Arbeit zu motivieren: "Es braucht nur drei Monate, um ein Volk auf die Couch zu legen. Aber es braucht drei Generationen, es wieder vom Sofa runterzukriegen." Mit der Zeit kamen auch weiße Farmer mit professionellen Maschinen, um den Reis zu ernten. Doch mit ihren schwimmenden Mähdreschern richteten sie großen Schaden an und zerstörten ganze Erntegebiete. Inzwischen haben die Ojibwa-Indianer - die größte Indianer-Ethnie nördlich von Mexiko, ihr Recht auf die Seen behaupten können. Und der kanadische Wildreis ist wieder zu einer ihrer wesentlichen Einkommensquellen geworden.
"360° - Die GEO-Reportage" begleitet den Häuptlingssohn Joe Pitchenese vom Stamm der kanadischen Ojibwa -Indianer bei der traditionellen Reisernte.
